Women's Empowerment, also die Stärkung der Rolle der Frau, gilt oft als entscheidender Aspekt der Geschlechtergerechtigkeit. Seit einigen Jahrzehnten zählt die Gleichstellung der Geschlechter daher zu einer der wichtigsten Prioritäten der Vereinten Nationen.
So haben sie ihr sowohl in der Agenda für nachhaltige Entwicklung 2030 (den im Jahr 2000 festgelegten Millenniums-Entwicklungszielen) als auch in der Pekinger Erklärung und Aktionsplattform (aus dem Jahr 1995) einen zentralen Stellenwert eingeräumt. Global gesehen wurden hinsichtlich der Themen Geschlechtergerechtigkeit und Frauenrechte seither auch einige Fortschritte erzielt. Aber gerade das subsaharische Afrika (südlich der Sahara gelegen) gehört nach wie vor zu den Regionen, die in dieser Hinsicht am weitesten hinterherhinken.
Einem aktuellen Bericht der Vereinten Nationen zufolge weist diese Region immer noch die höchste Rate an Kinderheiraten auf (35 %). Das durchschnittliche Heiratsalter von Frauen ist dort mit 22 Jahren eines der niedrigsten weltweit (Vereinte Nationen 2020). Auch die mangelnde Selbstbestimmung der Frauen stellt ein großes Problem dar. So dürfen in einigen der dortigen Länder (z. B. in Mali, in Niger und im Senegal) weniger als 10 % der verheirateten oder in einer Partnerschaft lebenden Frauen selbst Entscheidungen hinsichtlich ihrer Sexualgesundheit oder ihrer Familienplanung treffen (Vereinte Nationen 2020). Speziell Bildung ist einer der Bereiche, in denen die Ungleichheit am deutlichsten zutage tritt: Durchschnittlich 44 % der Frauen der Region haben in ihrem Leben nie eine Schule besucht. Bei Männern sind es dagegen nur 30 % (United Nations 2020). Auch bei der Alphabetisierung existiert ein erhebliches geschlechtsspezifisches Gefälle. So beträgt die Alphabetisierungsrate bei Männern 73 %, bei Frauen aber nur 59 % (United Nations 2020). In anderen Bereichen konnten zwar mancherorts Fortschritte erzielt werden, diese sind jedoch nicht signifikant und variieren von Land zu Land. Auf regionaler Ebene sind die afrikanischen Länder südlich der Sahara damit in Summe noch weit von der Gleichstellung der Geschlechter entfernt.
Hinsichtlich der Geschlechtergleichheit blockieren vor allem Traditionen und gesellschaftliche Normen in der Region jeden Fortschritt. Moreno Ruiz zählt einige dieser hinderlichen Aspekte der subsaharischen Gesellschaft auf. So prangert sie im Hinblick auf die reproduktive Gesundheitsversorgung vor allem einen eklatanten Mangel an ökonomischen und Bildungschancen an, der seinerseits ein Resultat fehlender zuverlässiger Verhütungsmethoden und unzureichender Sexualerziehung ist (Moreno Ruiz 2020, 377). All das sind Probleme, die durch effektive Maßnahmen auf verschiedenen gesellschaftlichen Ebenen relativ leicht lösbar wären.
Die generelle Datenlage zeigt, dass die Geburtenraten in denjenigen Ländern, die hinsichtlich der Gleichstellung der Geschlechter bereits weiter fortgeschritten sind, stärker zurückgehen als anderswo (Kritz & Gurak). Dies lässt den Schluss zu, dass entsprechende Maßnahmen sich positiv auf Women's Empowerment und Geschlechtergerechtigkeit auswirken. Andere Probleme, die der Geschlechtergerechtigkeit im Weg stehen, sind jedoch tief in der subsaharischen Gesellschaft verwurzelt und deshalb weit schwieriger zu lösen. Hier sind z. B. geschlechterdiskriminierende Familiengesetze ebenso zu nennen wie Kinder- und Zwangsehen, weibliche Genitalverstümmelung oder die Kriminalisierung von Abtreibungen. Auch eine gewohnheitsmäßige Täter-Opfer-Umkehr in Fällen sexueller Gewalt und ein hoher sozialer Druck auf Frauen, Misshandlungen durch Ehemänner oder Lebensgefährten klaglos zu ertragen, gehören mit dazu (Moreno Ruiz 2020, 377).
Kulturelle familiäre Normen sind für Women's Empowerment von besonderer Bedeutung, da sie viele der Möglichkeiten bestimmen, die Frauen offen stehen oder verschlossen bleiben. Dies gilt im Hinblick auf Entscheidungsfindungen jeglicher Art, Bildungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten und vieles mehr. Im Vergleich zu Frauen in Süd- oder Westasien besitzen viele Frauen im subsaharischen Afrika tatsächlich einen sogar höheren wirtschaftlichen Status (Kritz & Gurak 1989, 100): Sie genießen eine gewisse wirtschaftliche Unabhängigkeit, da "Ehefrauen von der Familie ihres Mannes traditionell Land für den Anbau von [...] Feldfrüchten erhalten" (Kritz & Gurak 1989, 100). Zusätzlich handeln viele Frauen mit allerlei Waren und erzielen so ein zusätzliches Einkommen. Sobald es aber um das Thema Familienplanung geht, besitzen afrikanische Frauen aufgrund der patriarchalischen Gesellschaftsstrukturen weniger Autonomie als die meisten asiatischen Frauen.
Afrikanische Frauen fühlen sich zu Entscheidungen hinsichtlich ihrer Kinderzahl schlicht nicht berechtigt. Im afrikanischen Familiensystem sind solche Entscheidungen traditionell dem Ehemann und seiner Herkunftsfamilie vorbehalten. Das fehlende Mitspracherecht von Frauen ist aber nicht nur auf reproduktive Angelegenheiten beschränkt. Es betrifft alle Aspekte des Familienlebens, wie Dibie & Dibie anmerken: "Frauen sind generell eher Opfer der Gesellschaft, während Männer die politische Kontrolle besitzen und damit als Hauptentscheidungsträger in Staat und Familie agieren" (Dibie & Dibie 2012, 97). Die Art dieser Familienstrukturen spielt auch bei der wirtschaftlichen Entmachtung der Frauen eine Rolle: Frauen gelten als Säulen der afrikanischen Familie und als Verantwortliche für das Wohlergehen aller Familienmitglieder (Dibie & Dibie 2012, 107-108). Moreno Ruiz beschreibt ihre Rolle innerhalb der Familie daher als die einer "altruistischen Familienversorgering" (Moreno Ruiz 2020, 374). Dieses Narrativ bringt die meisten Frauen dazu, sich in erster Linie an den Bedürfnissen und Wünschen ihrer Familien zu orientieren, welche für sie dann - wenn überhaupt - meist nur mit Erwerbstätigkeiten in der Landwirtschaft oder anderen schlecht bezahlten und wenig angesehenen Berufsfeldern vereinbar sind.
Auch wenn soziale und kulturelle Dynamiken sicherlich dazu beitragen, Women's Empowerment zu verhindern, stellt doch in vielen Fällen auch die Art und Weise ein Problem dar, in der sowohl Regierungs- wie Nichtregierungsorganisationen versuchen, die Rolle der Frau zu stärken. Oft tragen internationale Institutionen oder Organisationen mit Sitz außerhalb Afrikas das Thema "Frauenförderung" auf eine Art und Weise in die Region, die zwar vielleicht für die so genannte westliche Welt angemessen ist, die aber mit den kulturellen Normen Afrikas massiv kollidiert. Vor allem Nichtregierungsorganisationen (NRO) gehen oft nicht ausreichend auf die Bedürfnisse der Frauen an der Basis ein: Sie sind von externen Finanzmitteln abhängig und müssen deshalb auf die Ideen und Lösungsvorschläge der Geber reagieren. Moreno Ruiz hält fest, dass moderne Vorstellungen von Feminismus in afrikanischen Ländern oft stark abgelehnt werden, weil sie dort als destruktiver Radikalismus oder ausländische Ideologien betrachtet werden (Moreno Ruiz 2020, 371). Sie glaubt auch, dass Bedenken hinsichtlich Geschlechterungleichheiten manchmal als rein "westliche" Bedenken angesehen und daher einfach ignoriert werden (Moreno Ruiz 2020, 371). Die Umsetzung von Gender-Agenden durch NRO führt daher nicht zwangsläufig zur Stärkung von Frauen, wenn diese Agenden nicht an die spezifischen Bedürfnisse der von den Organisationen betreuten Gemeinschaften angepasst sind (Jasor 2016, 695).
Viele Entwicklungsdiskurse und -praktiken orientieren sich an westlichen liberalen Auffassungen von Empowerment. Diese sind aber unwirksam in einigen der lokalen Kontexte, in denen sie angewandt werden. Initiativen zum Women's Empowerment in Afrika müssen auf einem Verständnis der Stellung der Frau in der dortigen Gesellschaft und der in der Region vorherrschenden kulturellen Normen fußen. Nur so können Maßnahmen und Strategien auf den spezifischen Kontext der Region zugeschnitten werden. Wie Jasor vorschlägt, sollten NRO zunächst die ortsspezifischen sozialen Beziehungen zwischen den Geschlechtern genau analysieren und ihre Projekte/Ideen/Organisationen diesen entsprechend umgestalten. Nur so können sie "die feministische Agenda vorantreiben und das Engagement der Zivilgesellschaft im Globalen Süden dekolonisieren" (Jasor 2016, 707).
Einige der wichtigsten Trends, die die Geschlechterbeziehungen, -narrative und -maßnahmen im heutigen Afrika beeinflussen, sind die folgenden: (1) die Entpolitisierung und Technokratisierung von Debatte und Aktivitäten rund um das Thema Geschlechtergerechtigkeit, (2) die Zunahme von Identitätspolitik und religiösen Diskursen, die sich gegen die Gleichstellung der Geschlechter richten, (3) der Anstieg von Hypermaskulinität und autoritären Modellen und Diskursen in der globalen Politik und (4) die Hegemonie wirtschaftlicher und ökonomischer Vorstellungen, die andere Perspektiven aus dem Diskurs über (menschliche) Entwicklung verdrängen (Moreno Ruiz 2020, 381). Diese Trends müssen von der Regierung und den NROs gleichermaßen berücksichtigt werden. Nur so können überhaupt Fortschritte bei der Gleichstellung der Geschlechter erzielt werden. Entwicklungszusammenarbeit darf nicht von westlichen Vorstellungen von Empowerment dominiert werden.
Schädliche gesellschaftliche Normen, die Women's Empowerment behindern, müssen in Frage gestellt und abgebaut werden, das machen diese Ausführungen überdeutlich. Das Aufbrechen sozialer Dynamiken und kultureller Traditionen ist jedoch alles andere als eine leichte Aufgabe. Daher sollten die an der Stärkung der Rolle der Frau interessierten Akteure sich verstärkt darum bemühen, ihre jeweiligen Initiativen an die tatsächlichen lokalen Bedürfnisse und Gegebenheiten anzupassen. Nur so kann ihr Engagement langfristig erfolgreicher werden.
Quellenangaben:
United Nations. “World's Women 2020: Sub-Saharan Africa.” World's Women 2020. United Nations, 2020.
Moreno Ruiz, María José. 2020. “Facts, Narrative and Action on Gender Equality in Modern Africa: A Sociological Approach to Priorities and Omissions.” In Women and Sustainable Human Development: Empowering Women in Africa, edited by Maty Konte and Nyasha Tirivayi, 369–88. Gender, Development and Social Change. Cham: Springer International Publishing.
Kritz, Mary M., and Douglas T. Gurak. 1989. “Women’s Status, Education and Family Formation In Sub-Saharan Africa.” International Family Planning Perspectives 15 (3): 100–105.
Dibie, Josephine, and Robert Dibie. 2012. “Non-Governmental Organizations (NGOs) and the Empowerment of Women in Africa.” African & Asian Studies 11 (1/2): 95–122.
Jasor, Océane M. 2016. “Do Local Needs Matter?: The Relevance of Women’s NGOs in Sub-Saharan Africa.” Gender, Place & Culture 23 (5): 694–713.